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Minnie in der BallinStadt

Großtante Minnie hat sich zweimal entschieden, Deutschland in Richtung Westen zu verlassen. Beide Male ist sie dabei über Hamburg ausgereist. Im Dezember 2021 hatte ich die Gelegenheit den Ort zu besuchen, von dem aus Minnie 1923 und 1926 auf Reisen gegangen ist: die BallinStadt in Hamburg.

 

Ihre erste Reise trat Minnie gemeinsam mit Brigitte Hohlt und deren Kindern Hellmuth und Rainer von Hamburg über Antwerpen Richtung Puerto Plata an. Mit einer weiteren Angestellten (Martha Gewecke) und den beiden Gentlemen Walter Schmidt und Wilhelm Noltenius reiste die siebenköpfige Gruppe auf der Eupatoria, einem Schiff der HAPAG (Hamburg-Amerikanische-Paketfahrt-Aktiengesellschaft) nach West-Indien.

 

Auch Minnies zweite Reise erfolgte mit einem Schiff der HAPAG: 1926 ging sie mit ihrem Verlobten Peter Faltin und dem befreundeten Paar Hedwig und Ernst Schlote an Bord der Toledo. Von Hamburg aus ging die Reise über Le Havre, Vigo und La Carona bis nach Havanna.

 

Vor Antritt der ersten Reise wird Minnie sehr wahrscheinlich in einem der vielen Hamburger Hotels gewohnt haben, denn sie reiste als Bedienstete des Konsul Hohlt, gemeinsam mit dessen Familie. Startpunkt der zweiten Reise dürfte aber die Ballinstadt gewesen sein. Minnie hatte von ihrer ersten Reise einiges an Erspartem über und so hat sie vermutlich in einem der beiden Hotels in der BallinStadt gewohnt.  Dort gab es Zimmer mit je vier Betten, einen Speisesaal und eine überdachte Veranda.

 

Die meisten Auswanderwilligen haben jedoch in den großen Hallen in Gemeinschaftsschlafräumen auf ihre Abreise gen Westen gewartet. Außerdem gab es ein Lazarett, Werkstätten, Musik-Pavillons, eine evangelische und eine katholische Kirche sowie eine Synagoge.

 

Albert Ballin hatte die Anlage als damaliger Generaldirektor der „HAPAG“, auf der Elbinsel Veddel errichten lassen und als das „größte Gasthaus der Welt” bezeichnet. Die in sich abgeschlossene Stadt garantierte eine Rundumversorgung. Im Dezember 1901 wurde sie eingeweiht, mehrfach erweitert und lag bewusst fernab der Hamburger Innenstadt, um die einheimische Bevölkerung zu schützen. Hauptgrund war die Verhinderung der Einschleppung ansteckender Krankheiten, denn bei einer Choleraepidemie im Jahr 1892 starben etwa 10.000 Bürger. Die BallinStadt stand daher unter ständiger Gesundheitskontrolle und Überwachung durch die Hamburger Polizeibehörden. Die von einer Trennmauer gesicherte Anlage konnte bis zu 5.000 Auswanderer beherbergen, die hier auf ihre Reise nach Übersee warteten, bis es dann mit Tenderschiffen zu den Ozeandampfern der Reederei im Hamburger Hafen ging.

 

Auf Anregung Ballins entstanden im Lauf der Zeit auf den Überseeschiffen der HAPAG sogenannte Zwischendecks, dunkle und stickige Kajüten zwischen Oberdeck und Laderaum. Auf diese Weise konnten viel mehr Menschen transportiert werden und die Emigration wurde zum Massengeschäft. Zahlungskräftigere Auswanderer konnten Mehrbett-Kabinen der 3. Klasse mit besserer Verpflegung und Speisesaal buchen. Insgesamt fünf Millionen Menschen emigrierten so zwischen 1850 und 1934 über den Hamburger Hafen in Länder jenseits des Atlantiks.

 

Die BallinStadt umfasste damals 30 Gebäude, von denen drei heute wieder zu besichtigen sind. Es handelt sich um Wohn- und Schlaf-Pavillons, die originalgetreu nachgebaut und im Juli 2007 eröffnet wurden. Während Pavillon 1 die Geschichte Ballins und der HAPAG thematisiert, zeigt Pavillon 2 eindrucksvoll die Push- und Pull-Faktoren der Migration. Pavillon 3 bietet Raum für Sonderausstellungen und beherbergt die Gastronomie.

 

Außer der Ausstellung besitzt das Museum auch eine Sammlung von Fotografien. Durch einen Aufruf an Zeitzeugen bzw. deren Nachkommen in der Presse kamen innerhalb von drei Monaten mehr als 50 Auswanderergeschichten als Grundstock der Sammlung zusammen. Seither gehen fortwährend private Nachlässe in die Sammlung des Museums ein. Die Historikerinnen und Historiker der BallinStadt versuchen jeweils die komplette Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Generell liegt dabei der Sammlungsschwerpunkt des Museums auf Biografien. In unzähligen Ordnern finden sich neben handschriftlichen Aufzeichnungen, diverse Dokumente auch Fotografien, die die Auswanderer in ihrer alten Heimat oder am neuen Lebensort zeigen.

 

Seit Januar 2022 befindet sich auch ein Exemplar von Minnies Lebensgeschichte „Seid alle herzlich gegrüßt, Eure Minnie“ in der Sammlung der BallinStadt. Ich freue mich sehr, dass Minnies Geschichte an diesen für ihre Reisen so bedeutenden Ort zurückgekehrt ist.


Textquellen:

https://www.netzwerk-fotoarchive.de/lesenswert/die-fotobestaende-der-ballinstadt-hamburg

https://www.kultur-port.de/blog/kulturmanagement/11912-auswanderermuseum-ballinstadt-auf-der-veddel-in-hamburg.html

Bildquellen:

Außenaufnahme BallinStadt © Petra Mensing

Ballinstadt Luftaufnahme © Auswanderermuseum BallinStadt Hamburg

Übersichtsplan und Plan der Pavillons : www.christian-terstegge.de