Die Geschichte der Wedemark 1930 - 1950 / Pakete aus Amerika
In meiner Kindheit der 1970er Jahre gab es zu Weihnachten immer ein Paket aus Amerika. Meist kam es ein paar Tage vor den Feiertagen an, wurde aber erst Heiligabend geöffnet. An die Mandeln in Dosen erinnere ich mich immer noch gerne. Es gab kleine Geschenke oder etwas weihnachtliche Dekoration. Im Gegenzug schickten meine Eltern ein Paket "über den großen Teich". Schon Wochen vorher wurde es gepackt.
Warum es diese Tradition gab, habe ich als Heranwachsende nicht hinterfragt. Weihnachtspakete sind doch nichts Ungewöhnliches, oder? Erst bei der Arbeit an "Seid alle herzlich gegrüßt, Eure Minnie" verstand ich die Zusammenhänge.
Die ersten Pakete erreichten meine Großeltern Friedrich und Magdalena Mitte der 1940er Jahre, genauer gesagt ab Sommer 1946, denn ab diesem Zeitpunkt durfte meine Großtante Minnie Pakete nach Deutschland senden. Unzählige Sendungen folgten und gelangten so von New York nach Bissendorf. Das erste Weihnachtspaket enthielt hauptsächlich Lebensmittel: Butter, Kaffee, Backpulver, Rosinen, Feigen, Schokoladenbonbons, Nüsse, Mehl, Zucker, Muskatnuss, Zimt, außerdem Zigaretten und Tabak zum Tauschen, Seidenstrümpfe, weißes und schwarzes Garn. Und für Friedrich junior war sogar ein Weihnachtsgeschenk dabei: Papier, Bleistift und ein Radiergummi. Abgeschickt wurde das Paket bereits am 14. Oktober 1946. Durch einen Schifffahrts-Streik war es jedoch fast vier Monate unterwegs und kam erst am 6. Februar 1947 in Bissendorf an. Die Freude war dennoch riesig, denn Oma Magdalena kommentierte den Inhalt mit den Worten „Einfach fantastisch!“
Meine Großmutter hat viele dieser kommentierten Paketlisten hinterlassen. Mal mehr mal weniger ausführlich beschreibt sie darin ihre Dankbarkeit: „Innigen Dank! Wenn Mancher diese Listen sehen würde, der stände Kopf.“ Aber auch Verständnisprobleme sind dadurch überliefert worden, denn die amerikanischen Produkte waren häufig unbekannt. So kam es zu der einen oder anderen von Magdalena beschriebenen Verwechslung, die uns heute schmunzeln lässt.
Welchen (manchmal kuriosen) Inhalt die Pakete hatten, Oma Magdalenas Kommentare und wie wichtig diese Pakete für das Überleben meiner Familie waren, kann nun im Beitrag „Friedel, was die Leute sich mit einem Mal so erkundigen!“ in Band 12 der Reihe Die Geschichte der Wedemark von 1930 bis 1950 nachgelesen werden.
Bibliographische Angaben
Aspekte der Ortsgeschichte 2
Timo Boje, Julian Pelser, Tim Puckhaber, Petra Mensing, Eckhard Martens
Die Geschichte der Wedemark von 1930 bis 1950, Band 12
ISBN 978-3938769324
ecrivir-die textmacher
Erhältlich in den Wedemarker Buchhandlungen
Bücher am Markt und
Buchhandlung von Hirschheydt bzw. online
Über das Projekt
Das Projekt "Die Geschichte der Wedemark 1930 bis 1950" läuft seit April 2014. Um die Erinnerungen der Menschen an diese Epoche für nachfolgende Generationen zu
bewahren sind folgende Bände erschienen:
Band 1: Verfolgung und Zwangsarbeit in der NS-Zeit
Band 2: Erinnern - wozu überhaupt?
Band 3: Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in den Dörfern der heutigen Wedemark
Band 4: Alltag in der Diktatur - Erinnerungen an das dörfliche Leben in der Wedemark
Band 5: Kinder- und Jugendzeit in der Wedemark unter nationalsozialistischer Herrschaft
Band 6: Vom Umgang mit den Schwächsten. Auswüchse der Diktatur in der Wedemark
Band 7: Der lange Weg des Friedrich Ohlhorst
Band 8: Aspekte der Ortsgeschichte 1
Band 9: Erinnerungskultur in Zeiten rechtspopulistischer Tabubrüche
Band 10: Euthanasie und Eugenik
Band 11: Kurze Geschichten vor langer Zeit
Band 12: Aspekte der Ortsgeschichte 2