· 

Wenn die Spurensuche zum Krimi wird

In „Seid alle herzlich gegrüßt, Eure Minnie“ habe ich die fast unglaubliche Lebensgeschichte meiner Großtante beschrieben. Doch auch von Minnies Vorfahren gibt es Interessantes zu berichten. So etwa von Minnies Großvater, Konrad Lüders, der als Müller die Holländerwindmühle zu Wiedensahl betrieb.

 

Geboren wurde er am 22. Februar 1833 in Ahstedt, im heutigen Landkreis Hildesheim. Laut Häuserliste Wiedensahl hat er 1860 die Holländerwindmühle gekauft und dort ein Wohnhaus (Haus Nr. 131) gebaut. Am 19. April 1861 heiratete Konrad Lüders Maria Charlotte Amalie Haarstrich in Wiedensahl. Getraut wurde das Paar von Pastor Nöldeke, dem Schwager des Dichters und Malers Wilhelm Busch. Drei Töchter wurden in Wiedensahl geboren: Auguste (1864), Juliane (1867) und Minna (1870).  

 

Konrad Lüders muss ein fortschrittlich denkender Mensch gewesen sein, denn 1869 ist die Anlegung einer Dampfmaschine in der Mühle des Müllers Lüders zu Wiedensahl nachweisbar. Seine Enkelin Minnie hat uns überliefert, dass ab etwa 1870 ein Schornstein neben der Mühle stand. Wilhelm Busch, der nicht viel von dieser Technik gehalten haben soll, hat daraufhin die Holländermühle weniger häufig als die ebenfalls in Wiedensahl vorhandene Bockwindmühle gemalt.

 

Schon bald wurde die erste Dampfmaschine zu klein, denn 1871 versucht Lüders einen „fast neuen Dampfkessel mit Zubehör von 10 Pferdekraft, inwendiger Feuerung, wegen Vergrößerung des Etablissements“ zu verkaufen. Gleichzeitig annonciert er, um einen „schon gebrauchten Dampfkessel von 16 - 20 Pferdekraft“ zu kaufen. Der Kauf scheint erfolgreich gewesen zu sein, im März 1873 vergrößert er sich erneut und inseriert eine „drei Jahre im Betrieb gewesene Dampfmaschine von 12 – 16 Pferdekraft wegen Vergrößerung billig zu verkaufen“. Danach verliert sich Konrads Spur in Wiedensahl. Zwar ist der Name Lüders bis 1880 für das Haus Nr. 131 nachgewiesen, doch weitere Hinweise fehlen.

 

Wo starb Konrad Lüders?

 

Im Sterbeeintrag von Minnies Mutter Auguste (Konrads ältester Tochter) steht 1913 als letzte Wohnadresse für Konrad und Maria Lüders Wiedensahl.  Doch es gibt keine Sterbeeinträge für Konrad oder Maria in Wiedensahl oder den umliegenden Gemeinden.

 

Keine der drei Töchter Konrads heiratet in Wiedensahl. Auguste heiratet Josef Alscher im September 1900 in London. Die mittlere der Lüders Schwestern, Juliane (genannt Alma), heiratet 1893 Franz Rhode in der Dreifaltigkeitskirche in Hannover. Und die jüngste Schwester Minna heiratet 1895 Eduard Hesse, ebenfalls in der Dreifaltigkeitskirche in Hannover. In beiden Hochzeitseinträgen sind die Eltern nicht erwähnt. Doch sowohl für Juliane als auch für Minna ist im Hochzeitseintrag „bisher unverheiratet zu Hannover“ angegeben. Sind also auch Konrad und Auguste aus Wiedensahl nach Hannover gegangen? Ein Hinweis findet sich 1877 im Hannoverschen Kurier. Dort ist eine Bekanntmachung bzgl. Aufhebung des Subhastationstermines (= Zwangsversteigerung) für den Mehlhändler Konrad Lüders zu finden. Doch das Hannoverschen Adressbuch von 1877 enthält beim Buchstaben L keinen Eintrag für einen Mehlhändler Konrad Lüders. Wohl aber im Straßenverzeichnis! Dort ist unter der in der Bekanntmachung genannten Adresse Hagenstraße 1A tatsächlich Knr. Lüders, Mehlhändler, zu finden.

 

Ich folge dieser Spur und suche weiter: Im Hannoverschen Adressbuch von 1895 ist ein Konrad Lüders zu finden, von Beruf Makler, wohnhaft Gartenstraße 24.1, nur 550 m von der Dreifaltigkeitskirche entfernt! 1893 hat er die Berufsbezeichnung Agent, 1892 Häuser-Makler, alles unter der gleichen Adresse. Etwa 10 Jahre zuvor wohnt dieser Konrad Lüders in der Asternstraße 3.2 l, die Adresse seines Büros als Agent ist Georgstraße 8, mit dem Hinweis „Eingang kleine Packhofstraße“. 1880 finde ich ihn als Agent in der Hagenstraße 1A. Doch mir scheint ein Wiedensahler Müller, der zeitgleich auch Agent in Hannover ist, recht unwahrscheinlich. Jedoch macht mich die Adresse Hagenstraße 1A stutzig. Dort wohnte drei Jahre zuvor der Mehlhändler Konrad Lüders.

 

Im Adressbuch von 1878 finde ich schließlich einen Getreidehändler (!) Lüders in der Bohnenstraße 3, heute ein Teil der Lilienstraße in der Nähe der Leibniz Universität Hannover. Es ist kein Vorname angegeben, aber mit der Angabe der Bohnenstraße kann ich in den Teil der im Adressbuch gelisteten Häusereigentümer wechseln. Die Enttäuschung ist groß, als ich bemerke, dass es das Haus Nr. 3 im Jahr 1878 gar nicht gibt. Stattdessen ist der Getreidehandel Lüders in der Bohnenstraße 2 zu finden, Inhaber des Hauses ist der Kaufmann Karl Köhne. Also suche ich weiter und werde im Jahr 1879 fündig: Heinrich Lüders, Getreidehändler, Bohnenstraße 3. Heinrich? Jetzt erst fällt mir ein, dass Konrad mehrere Vornamen getragen hat. Bisher habe ich ihn immer als Konrad Lüders gesucht und gefunden, doch sein vollständiger Name war Konrad Heinrich Daniel Lüders! Bis 1889 kann ich den Getreidehandel Heinrich Lüders in der Bohnenstraße 3 finden. Ab 1888 firmiert Heinrich Remmers ebenfalls mit einem Getreidehandel unter derselben Adresse. Ich vermute Lüders hat den Getreidehandel an Remmers übergeben bzw. verkauft. Denn ab 1890 ist der Name Lüders aus der Bohnenstraße verschwunden.

 

Ich kehre zurück zur Hagenstraße 1A. In den Jahren 1878 und 1879 wohnt dort der Agent Konrad Lüders. Da die Bohnenstraße Nr. 3 erst 1879 gebaut wurde, könnten Heinrich und Konrad vielleicht doch identisch sein? Das Adressbuch von 1881 gibt schließlich die Antwort. In dem Jahr wohnt der Agent Konrad in der Asternstraße 3.2 mit Büro in der Georgstraße 8, wogegen der Getreidehändler Heinrich Lüders in der Bohnenstraße 3 wohnt. Es müssen daher zwei verschiedene Personen gewesen sein.

 

Und in Wiedensahl?

 

Für Suche nach dem Verbleib von Konrad und Maria Lüders bin ich schließlich auch nach Wiedensahl gefahren. Dorthin, wo sich die Spuren nach 1880 verwischen. Im April 2023 bot das Wilhelm Busch Museum in Wiedensahl einen Vortrag und eine Führung mit dem Titel „Vom Mahlen und Malen“ an, ein willkommener Anlass, auf Spurensuche zu Minnies Großeltern zu gehen.  

 

Weder die Bockwindmühle noch die Holländermühle stehen heute noch. Und doch habe ich Konrads Mühle „sehen“ können. Zumindest einen Teil davon, denn der Rest des Mühlenkörpers ist bis heute in dem Gebäude erkennbar, in dem er aufgegangen ist. Auch war es mir möglich ein paar Bilder der beiden Mühlen zu bestaunen, viele weitere befinden sich im Wilhelm Busch Museum in Hannover.

 

Ich werde weitersuchen. Alles deutet auf Hannover als Sterbeort hin. Der nächste Ansatzpunkt ist daher das Stadtarchiv und die Suche in alten Standesamtseinträgen. Aber immerhin konnte ich den Ort besuchen, in dem die Familie etwa 20 Jahre lebte und Minnies Mutter Auguste und ihre Schwestern geboren wurden. 1881 kaufte übrigens Ferdinand Sell die Mühle, die ein paar Jahre später erneut den Besitzer wechselte, da sie 1896 im Rahmen einer Zwangsversteigerung an Fritz Sölter überging.

 

Und wer jetzt selber suchen möchte: Die Hannoverschen Adressbücher sind auf der Seite der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek durchsuchbar. In den dort verfügbaren digitalen Sammlungen sind auch zahlreiche Hannoversche Zeitungen, wie bspw. der Hannoversche Kurier zu finden.  

 


Fotoquellen:

Porträt Konrad Lüders und Fotos aus Wiedensahl: (c) Petra Mensing

Landschaft mit Wiedensahler Hollandermühle und Haus des Müllers: Städel Museum, Frankfurt am Main, public domain