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Das Geheimnis der Mühle

Minnie hat in ihrer Lebenserinnerung überliefert, dass ihr Vater Josef Alschner von 1903 bis 1909 die Mühle in Havelse gepachtet hatte. Belegt ist dies durch die Geburtsurkunde ihres Bruders Friedrich Alschner, in welcher Josef als Mühlenpächter zu Havelse erwähnt wird. Im Kirchenbucheintrag wird Josef als Müller in Havelse bezeichnet. Doch stimmen diese Angaben? Bei einer Lesung in Helstorf wurde ich darauf angesprochen, dass es nur eine Garbsener Mühle gegeben hätte. Schließlich läge Havelse auf der einen, Garbsen auf der anderen Seite des Mittellandkanals und die Mühle hätte sich auf der Garbsener Seite befunden.

 

In der Tat sieht es beim Betrachten heutiger Karten so aus, dass die Mühle in Garbsen und nicht in Havelse stand. Der damalige Standort befand sich im Bassriedeweg Nr. 38. Dieser Weg war die Verbindung zwischen Havelse und Berenbostel und existiert heute nicht mehr. Das Teilstück zwischen Mittellandkanal und Autobahn ist im Wohngebiet "Auf der Horst" aufgegangen. Die Bockwindmühle befand sich ungefähr an der Stelle des heutigen "Bärenhof".

 

Doch sämtliche in der Deutschen Digitalen Bibliothek zu findenden Bilder der Mühle sind mit Havelse bezeichnet. Ein Fehler?

 

Der Name "Auf der Horst" ist eine uralte Flurbezeichnung, die als "Horstfelde" bereits 1725 in einer Akte über “Die Vermessung der Amtshaushalts und Zehntpertinenzinen” mehrfach erwähnt wird. Eine Karte des Klosters Marienwerder aus dem Jahr 1770 zeigt die “Havelser große Horst” sowie die “Havelser kleine Horst”. Nach der Ernte durften dort die Havelser und Marienwerder Schafe ebenso wie das große Havelser Vieh weiden, nicht aber das große Vieh der Marienwerder Bauern.

 

Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich dann die Grundherrschaftsverhältnisse: Die Bauern konnten die von ihnen bewirtschafteten Höfe kaufen und gemeinschaftlich genutzte Flächen wurden unter den beteiligten Höfen aufgeteilt. Für Garbsen gibt es aus dieser Zeit noch das “Manual des Grundeigentums in der Feldmark Garbsen” von 1859. Bezeichnungen wie “Auf der Horst” oder “Horstfelde” kommen darin für Garbsen nicht vor, sondern stammen aus Havelse. Somit hat die Mühle also tatsächlich auf Havelser Grund gestanden.

 

Deutlich wird das auch auf einer Straßenkarte, die auf Basis von im Stadtarchiv Garbsen lagernden Kartenzeichnungen von Heinz Borman erstellt wurde. Dort ist die Entwicklung Havelses über verschiedene Zeitabschnitte dokumentiert und enthält ebenfalls den Standort der Havelser Mühle.

 

Die Frage, ob es dennoch auch eine Garbsener Mühle gegeben haben könnte, ließ mich jedoch nicht los. Und tatsächlich bin ich fündig geworden: Wilhelm Kleeberg berichtet in seinem Buch “Niedersächsische Mühlengeschichte” von einer Holländerwindmühle in Garbsen. Diese Mühle wurde nach 1755 erbaut, für 1885 und 1906 ist als Müller zu Garbsen ein Herr Sander überliefert. 1931 wurde sie abgebrochen und nach Haßbergen verkauft .

 

Der Abbruch und die Wiedererrichtung an anderer Stelle war keine Seltenheit. Auch die Havelser Mühle stand vorher an einem anderen Ort. Ursprünglich wurde sie 1587 für das Kloster Marienwerder errichtet. 1892 hat sie der Müller August Hoffmann erst gepachtet und dann gekauft. 1894 wurde Hoffmanns Sohn August Karl in Marienwerder geboren.1900 zog August Hoffmann mit der Mühle nach Havelse an den Bassriedeweg Nr. 38 um. Den Aufbau in Havelse hat August Hoffmann aber nicht mehr vollendet, denn er starb im April 1901 an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine Frau Ida Emma blieb mit dem Sohn allein zurück. 1903 heiratete die Witwe den Müller Konrad Christian Heinrich Saakel. Zu dieser Zeit muss Josef Alschner dort als Müller gearbeitet haben. Auch zu späteren Zeiten waren Haushaltsgehilfen und angestellte Müller dort tätig und sind im Melderegister belegt.

Die Havelser Mühle im heutigen Stadtteil "Auf der Horst" ist übrigens nicht zu verwechseln mit der Horster Mühle. Diese befindet sich im ländlich geprägten Garbsener Stadtteil Horst und wird heute vom Standesamt Garbsen für Trauungen genutzt.

 


weiterführende Literatur:

Kleeberg, Wilhelm (1964): Niedersächsiche Mühlengeschichte. Hermann Bösmann Verlag, Detmold

Priebs, Axel und Scholl, Rose (2016): Der Griff nach den Sternen - Geschichte und Gegenwart des Garbsener Stadtteils Auf der Horst. Lit Verlag, Münster

StadtArchivVerein Garbsen (Hrsg.) (2007): Havelse im Fokus - Geschichten von Häusern und Menschen. Garbsen

 

Bildquellen:

Mühle 1957, 1959, 1966 (alle Stadtarchiv Garbsen, CC3.0)

Kartenausschnitt 1899: David Rumsey Map Collection, David Rumsey Map Center, Stanford Libraries

Kartenausschnitt 2022: open street map